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AutorenbildCéline Wernet

Nachhaltiges Investieren: zwischen Verwirrung und Fortschritt

Pünktlich zur Weihnachtszeit eine Rezeptidee... mit einem kleinen Augenzwinkern :

„Man nehme den Basisteig ‚Verwirrende Finanzsprache‘ und knete diesen noch einmal kräftig durch. Anschließend den Teig mit den Zutaten Komplexität, Verwirrung und Überforderung vermengen. Wichtig: in dieser Variante bitte auf das Gewürz „Messbarkeit“ verzichten! Löst nur Allergien aus...


Zum Schluss grüne Lebensmittelfarbe hinzufügen – dann sieht das Ganze doch gleich viel besser aus!


Anschließend den Teig gehen lassen und am besten aus dem Blick verlieren. Gutes braucht schließlich Zeit – auch, wenn wir diese nicht (mehr) haben. Hierfür nutzt man im Basisteig am besten bereits eine besonders großzügige Prise „Marketing“, denn dann geht der Teig noch viel mehr auf.


Zum Schluss ab in Ofen damit. Aber bitte aufpassen, dass man sich nicht die Finger schmutzig macht.


Tipp: Kalt genießen und mit „Intransparenz“ servieren. Guten Appetit!“


So oder so ähnlich könnte das Rezept für die in der Finanzbranche sehr beliebte Greenwashing-Torte sein. Natürlich vegan, glutenfrei und ohne Zucker.


Nachhaltige Geldanlage – wo stehen wir?


Wir schreiben das Jahr 2020. Das neue Standard-Pflicht-Werk der EU-Taxonomie wurde im Rahmen des European Green Deals (Ziel: die EU soll bis 2050 klimaneutral werden) veröffentlicht. Das Anliegen der Autoren: endlich ein gemeinsames Verständnis des Begriffes „Nachhaltigkeit“ schaffen, die Definition schärfen und entsprechende Regelungen zu nachhaltigen Investitionen in der EU festlegen.


Der klare Fokus der Taxonomie liegt dabei auf den ökologischen Aspekten, welche bei der Geldanlage berücksichtigt werden können/sollten. Als Umweltziele gelten[1]:


· Klimaschutz

· Anpassung an den Klimawandel

· Nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen

· Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft samt Abfallvermeidung und Recycling

· Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung

· Schutz gesunder Ökosysteme


Die entsprechenden Regelungen traten verstärkt ab 2022 peu à peu in Kraft. Im Vorfeld wurde zum 10. März 2021 die EU-Offenlegungsverordnung (EU SFDR, Nr. 2019/2088) gültig. Diese bündelt verschiedene Regelungen zur Klassifizierung und Kennzeichnung von Investmentfonds (sowohl aktive Fonds als auch passive ETFs).


Infolgedessen verwirren nun neben den Abkürzungen ESG, ESG Leaders, SRI und Co auch die Klassifizierung nach Artikel 6, 8 und 9 die Anleger:innen. Eine kurze Erklärung:


·Artikel 6: graue/herkömmliche Fonds. Sie verfolgen keine Nachhaltigkeitsziele.

·Artikel 8: hellgrüne Fonds. Bei der Auswahl der Investitionen werden ökologische und soziale Aspekte berücksichtigt. Nachhaltigkeit ist jedoch nicht das Hauptziel in der Investmentstrategie.

·Artikel 9: dunkelgrüne Fonds/Impact-Fonds. Diese Fonds verfolgen nachhaltige Investitionen als das Hauptziel Ihrer Anlage, beispielsweise die Reduktion von CO2-Emissionen.


Klare Vorgaben, was kann da schon schief gehen?!


Nun direkt ein wichtiger Hinweis: Der Begriff „Artikel“ wirkt schnell missverständlich. Herauszustellen ist, dass es sich hier augenscheinlich um eine gesetzliche Vorgabe zu handeln scheint. Dies entspricht jedoch nur der halben Wahrheit, denn die Vorgabe bezieht sich ausschließlich auf Veröffentlichungspflichten. Eine inhaltliche Prüfung wird von der Finanzaufsicht nicht durchgeführt, sondern lediglich, ob die formalen Kriterien bzw. die Informations- und Transparenzpflichten eingehalten wurden.[2] Das heißt, ob ein Fonds als Artikel 6, 8 oder 9-Fonds ausgewiesen und klassifiziert wird entscheiden die Fondsgesellschaften selbst – also entgegen der allgemeinen Erwartung keine objektive, externe Partei. Sanktionen bei Verstoß waren bisher nicht vorgesehen; höchstens die Veranlassung der Anpassung der vorvertraglichen Informationen bzw. des Verkaufsprospekts.[3]


Um das nochmal kurz sinnbildlich zu vergleichen: Es gibt keine Stelle, die nachprüft, ob in der Verpackung wirklich nur Bio-Eier von glücklichen Hühnern sind, sondern nur, ob das Etikett für diesen Fall richtig ausgeschildert und auf den Karton geklebt wurde.


Der grüne Etikettenschwindel – es kam, wie es kommen musste


Ende November dieses Jahres veröffentliche das Handelsblatt einen Artikel, der das ganze Ausmaß der Problematik sichtbar machte. In einem internationalen Medienprojekt („Great Green Investment Investigation“) mit den niederländischen Plattformen Investico und Follow the Money sowie acht europäischen Medienhäusern untersuchten diese mehr als 800 als dunkelgrün etikettierte Fonds, d.h. Fonds, die sich dem strengsten Ökoreglement verschrieben haben und nur klimafreundliche Investitionen tätigen dürfen. Darunter sollten Industriezweige mit Luftfahrt und Kohleverstromung nach dem allgemeinen Verständnis nicht fallen.


Das Ergebnis der Untersuchung ist deutlich: nach Abgleich der Nachhaltigkeits-Kategorisierung der einzelnen Unternehmen, in die investiert wurde[4], innerhalb in Deutschland handelbarer Artikel 9- Fonds zeigte sich, dass knapp 48% (also ca. jeder Zweite) in „graue“ Energiegewinnung und Luftfahrt investierten. In den Extremfällen gingen teilweise mehr als 40% des Kapitals an Unternehmen aus der Öl- und Kohleindustrie und aus der Luftfahrt.[5] Zum Vergleich: andere Artikel 9 Fonds investierten maximal 2% ihrer Anlagen in solche Industrien.


Argumentiert wird seitens mancher Fondsgesellschaft auf Basis interner Kriterien und Schwellenwerten. Doch würde dies nicht einer auffälligen Kennzeichnung auf PET-Flaschen „Zu 99% aus recyceltem Plastik“ ähneln mit einem Hinweis in der Fußnote, dass es sich nicht auf die gesamte Flasche bezieht, sondern nur auf den Deckel?


Laut der EU-Kommission sei die Regelung zu jung, als dass bereits aussagekräftige Schlussfolgerungen möglich wären. Es ist jedoch zu beobachten, dass in letzter Zeit immer mehr der als ursprünglich Artikel 9 klassifizierten Fonds zurück auf die hellgrüne Abstufung wechseln. Grund dafür sind neue aufsichtsrechtliche Bestimmungen, die ab dem 01.01.2023 in Kraft treten und deutlich strengere Nachweispflichten mit sich bringen.[6]


Dies ist als eine gute Entwicklung zu bewerten und zeigt, dass das beschriebene Problem erkannt wurde. Erfreulicherweise wurden in letzter Zeit zusätzlich einige Fonds von Artikel 6 auf Artikel 8 Fonds hochgestuft.[7]


Das Problem ist das bereits investierte Geld – was macht das mit dem Vertrauen von Anleger:innen, die bewusst in einen Artikel 9 Fonds investiert haben, jetzt aber „nur“ noch einen Artikel 8-Fonds im Portfolio haben?


Das Vertrauen der Anleger:innen ist kostbar

Und ja, es kann sein, dass die einleitenden Worte überspitzt waren. Es ist eindeutig, wie wichtig Nachhaltigkeit ist. Und es ist verständlich, dass aller Anfang schwer ist und Startschwierigkeiten völlig normal sind.


Doch die Frage ist, ob wir für dieses anfängliche Stolpern Zeit haben. Und natürlich: wie wollen wir in der Finanzbranche, die in Deutschland ohnehin von Endverbraucher:innen eher misstrauisch beäugt wird, Vertrauen und damit ökologischen und sozialen Fortschritt schaffen, wenn wir zu Gunsten des Marketings Missverständnisse florieren lassen?


Übersichtlichkeit, klare Regeln und Beständigkeit sind essenziell, um dieses Vertrauen zu schaffen und (auch nicht zu vernachlässigen) zu erhalten. Wenn wir ständig die Zutaten und deren Menge ändern, wird uns bald niemand mehr als „souveräne:n Chef-Konditor:in“ ernst nehmen.


Fazit: und was bedeutet das alles jetzt für mich und meine Anlage?

Das Bewusstsein um die Komplexität ist bereits der erste wichtige Schritt. Der Kapitalmarkt ist in einem großen Wandel und Prozess – um nicht zu sagen in einer Findungsphase. Wie lange diese noch anhält, ist leider nicht abzusehen. Glücklicherweise sind erste Fortschritte erkennbar.


Daher bleibt es vorerst bei den bekannten Ratschlägen:

1) Definieren Sie Ihre individuellen Nachhaltigkeitskriterien.

2) Nicht nur im Bereich der Ernährung gilt: Ausgewogenheit ist wichtig! Schaffen Sie eine breite Diversifikation und verzichten Sie auf Klumpenrisiken. So haben zum Beispiel viele als nachhaltig klassifizierte Fonds aufgrund des eigenen Filtermechanismus einen Schwerpunkt auf Technologie-Werte, da diese unter anderem geringere CO2-Emissionen verursachen.


Schlussendlich heißt es also hinsichtlich der nachhaltigen Geldanlage für Anleger:innen weiterhin Interesse zu signalisieren, sich zu informieren, kritisch zu hinterfragen und Forderungen zu kommunizieren. Wo eine Nachfrage bekannt wird, kann Angebot entstehen. Jedoch ist es wichtig – egal ob bei Lebensmitteln, Kleidung oder Finanzprodukten – nicht blind auf Siegel zu vertrauen, sondern diese vorerst nur als Orientierung zu nutzen.




[1] https://www.bafin.de/SharedDocs/FAQs/DE/Verbraucher/NachhaltigeGeldanlage/01_esg.html (06.12.2022) [2] https://blog.rentablo.de/artikel-8-fonds-und-artikel-9-fonds/ (06.12.2022) [3] https://www.handelsblatt.com/finanzen/anlagestrategie/trends/esg-anlagen-der-gruene-etikettenschwindel-was-wirklich-in-nachhaltigen-geldanlage-produkten-steckt/28835540.html(07.12.2022) [4] Bereitgestellt von der Umweltorganisation Urgewald und der Climate Bonds Initiative (CB) [5] https://www.handelsblatt.com/finanzen/anlagestrategie/trends/esg-anlagen-der-gruene-etikettenschwindel-was-wirklich-in-nachhaltigen-geldanlage-produkten-steckt/28835540.html(07.12.2022) [6] https://www.fondstrends.lu/geld-und-markt/die-europaeische-offenlegungsverordnung-level-2-neue-anforderungen-an-art-8-und-art-9-fonds-ab-dem-1-januar-2023/ (07.12.2022) [7] https://www.fondsprofessionell.de/news/produkte/headline/dutzende-fonds-von-artikel-9-auf-artikel-8-herabgestuft-219712/ (06.12.2022)

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